Pruzzenschatz in Königsberg

Wikingerfibeln

Ende 1999 ging die Nachricht von der Wiederauffindung von 16 000 Exponaten der verschollenen Königsberger Prussia-Sammlung um die Welt. Der pensionierte Oberstleutnant Awenir Oswjanow hatte bei der Inspektion des Forts III der alten Königsberger Fortifikation in einem Tunnel zwischen Munitionskisten einen handtellergroßen rostigen Metallring mit fremdartigen Verzierungen am Rand gefunden. Die Archäologen Anatolij Walujew und Konstantin Skworzow vom Museum für Kunst und Geschichte waren sicher, einen Steigbügel eines Wikingerpferdes vor sich zu haben und so konnte die Teilsammlung drei Stockwerke tief unter der Erde in den Katakomben gefunden werden. Nun nach zwei Jahren zeigt das Museum in einer Sonderausstellung Teile der legendären Sammlung. 800 Exponate wurden dafür sorgfältig restauriert: Bronzene Halsreifen, steinzeitliche Glasperlen, filigrane Bügelfibeln der Völkerwanderungszeit, Bartpinzetten und Gürtelschnallen, aber auch Feuersteinpfeilspitzen, Silbermünzen der römischen Kaiserzeit, Hacksilber und ein Tüllenbeil der Bronzezeit mit der alten Sammlungssignatur. Die zeitlich umfassende Darbietung illustriert die bewegte Geschichte der Region zwischen Weichsel und Memel, einschließlich der Unterwerfung und Christianisierung der Pruzzen durch den Deutschen Orden im 13. Jh. 1844 hatte der Königsberger Historiker Ernst August Hagen zusammen mit engagierten Laien die "Altertumsgesellschaft Prussia" gegründet, deren Exponate bald eine ständige Ausstellung im Südflügel des Schlosses ergaben. Die Sammlung wuchs rasch auf mehr als 240 000 Einzelexponate an. 1944 legte ein englischer Terrorangriff das Centrum der Stadt und damit auch das Schloß und alle Kulturgüter in Schutt und Asche. Walter la Baume, dem letzten Direktor des ostpreußischen Landesamtes für Vorgeschichte war gerade noch rechtzeitig die Auslagerung der unwiederbringlichen Sammlung gelungen. Einen Teil der Studiensammlung einschließlich des Prussia-Fundarchivs schickte er im letzten Kriegswinter mit der Eisenbahn nach Westen, stark geplündert tauchte die Ladung 1946 in einem Gutshaus der vorpommerschen Kleinstadt Demmin auf und gelangte von dort in den Magazinkeller der Berliner Akademie der Wissenschaften, wo man die 125 Kisten nach der Wende völlig unangetastet entdeckte. Ein kleinerer Teil der Sammlung fand sich nach dem Krieg in einem Bunker bei Rastenburg (Ketrzyn), die Schausammlung mit ihren kostbaren Funden schien aber verloren. In Kisten verpackte Exponate waren beim Nahen der Front in einem bombensicheren Fort am nördlichen Stadtrand eingelagert worden.

Im Festungsgraben

Oberstleutnant Owsjanow erinnert sich: "Einige unserer Soldaten, die am Sturm auf Königsberg teilgenommen hatten, berichteten übereinstimmend von Kisten voller fremdartiger Plastiken, Gegenständen aus Elfenbein, Bernstein und Bronzestatuen in den Kasematten des Forts III." Doch die Forscher konnten in den nun als Raketenbunker benutzten Anlagen keine Untersuchungen vornehmen. Viele der schönsten Stücke waren inzwischen von Soldaten zum Verkauf an illegale Schatzsucher aus dem Fort geschmuggelt worden. Mafiose Raubgräber betrieben zeitweise mit den Funden einen schwunghaften Handel. Die fehlende Hälfte eines durch das Museum von einem Schwarzhändler erworbenen bronzenen Halsringes entdeckte man nun in den geöffneten Kasematten. Weitere Suchgänge des Archäologen Walujew und seiner fünfköpfigen Mannschaft führten zur Auffindung von 12 000 weiteren früheren Exponaten, darunter einzigartiger Wikingerschmuck, in einem Wallgraben, in den die Armee Schutt aus den Kasematten gekippt hatte. Die lange Lagerzeit im Schutt, dem Wetter ausgesetzt, hatte die Ausstellungsstücke derart geschädigt, daß Walujew und Mitarbeiter Schmuckfibel und Pfeilspitzen mit nach Hause nahmen und in Kochtöpfen und Einweckgläsern Konservierungsmixturen aussetzten, um sie überhaupt mit den Abbildungen in der "Vorgeschichte Ostpreußens" von Wilhelm Gaerte, dem letzten Direktor des Museums vergleichen zu können. Der geringe Museumsetat reicht jedoch noch nicht einmal für eine fachgerechte Lagerung, die zunächst nur in Cigarettenschachteln und anderen Kartons vorgenommen werden konnte. Erst die Zeitstiftung Gerd und Ebelin Bucerius stellte die Mittel zum Aufbau einer Prussia-Arbeitsstelle mit moderner Restaurierungswerkstatt, Computer und Digitalcamera zur Verfügung, fachwissenschaftlicher Partner wurde das Archäologische Landesmuseum Schleswig-Holstein in Gottorf, dessen Direktor Claus von Carnap-Bornheim sich inzwischen die Zusammenführung der Sammlungsteile vorstellen kann. Selbst privatisierte Sammlungsteile werden neuerdings angeboten, so meldete ein Moskauer "Sammler" mehrere tausend Exponate zum Verkauf. Konstantin Skworzow, der die Stücke an geheimem Ort begutachtete, stellte fest: "Es sind Juwelen der Sammlung. Feinste Bronzezeit." Die geforderten 15 000 Dollar sind ein geringer Betrag, jedoch zögert man in Hamburg (Dr. Philipp Adlung, Zeitstiftung), um nicht kriminelle Handlungen zu unterstützen. Noch 2002 soll ein viertes Mal nach weiteren Teilen der Sammlung gegraben werden. Die Sonderausstellung in Königsberg ist noch bis Ende Mai zu sehen, nach vollständiger Restaurierung aller geborgenen Exponate soll die Sammlung einen festen Platz in der Königsberger Stadthalle bekommen. Museumsdirektorin Elena Penkina kann sich auch eine Ausstellung in der Bundesrepublik Deutschland vorstellen.

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