Romove
von Prof. Dr. Harry Scholz

Bei meinen Studien über Herzog Albrecht meiner alten Alma Mater Albertina kam mir ein schweinslederner Band - Acta Borussica - in die Hände, der 1730 verlegt, über Persönlichkeiten in der Umgebung des Herzogs, insbesondere Professoren der neuen Universität von 1544 berichtete. Darin fand sich auch eine Doktorarbeit von Martin Jeschke, betitelt: Dissertatio de Quercu Romowe, gentilibus olim Prussis sacra (Über die heilige Eiche der alten Preußen bei Romowe), Königsberg 1674.

Jeschke bezieht sich auf ältere Schriftsteller, wie Simon Grunau aus Tolkemit, z.Z. König Sigismund I. von Polen, Caspar Schütz, Weisselius, Guagnimus und den sehr bekannten Henneberg (erläutertes Preußen), der auch Grunau citiert. Sehen wir nun, was Jeschke zu berichten hat.

Eine alte Eiche, "Gorcho" genannt, die den alten Preußen heilig war, stand an der Stelle, wo sich jetzt die Stadt Heiligenbeil befindet, die von der Beseitigung des Baumes ihren Namen bekommen haben soll (sacellum sacrum). Auch eine Linde in der Nähe von Sakunen (Schakunen?) am Rußstrom soll heilig gewesen sein. Unter allen auch sonst verehrten Bäumen aber genoß die Eiche Romowe ein besonderes Ansehen. Über ihren Standort besteht keine Einigkeit. Teilweise wird Heiligenbeil dafür genannt, was aber unwahrscheinlich ist, da hier "Gorcho" ihren Platz hatte. Gorcho, der sechste Gott der Preußen, den sie von Masuren übernommen haben, wird für einen Gott des Essens und Trinkens gehalten, der in der seinen Namen tragenden Eiche gewohnt haben soll.

Die Eiche Romowe aber war drei Göttern heiliger Wohnsitz. Schütz vertritt die Meinung, daß Romowe in Galindien gelegen hätte, einem Teil des südlichen Preußens, was aber von anderen Schriftstellern bestritten wird. Schütz berichtet weiter: "Um dieselbe Zeit hätten die Creutzherren mit den Preußen auf Samland einen schweren Krieg angefangen, wozu sie viel Hilfe aus dem Reich erbaten." Der bedeutendste Kriegsherr, der ihnen zu Hilfe kam, war Ottokar von Böhmen. Er zog vom Elbingfluß herauf in die Gegend von Balga, wo damals eine starke Veste bestand. Um während der Winterszeit sein auf 40 000 Mann geschätztes Heer nicht ohne Beschäftigung zu lassen, soll er - nach Schütz - noch in der kalten Jahreszeit von Balga nach Romowe oder Rikojot gezogen sein. Er habe die Veste erobert und die große Eiche mitsamt ihren Göttern verbrannt. Er machte an der Stelle ein Dorf, das heute noch Rom heißt; folgendes Jahr rücket er mit ganzer Macht auf die Samländer, erst ins Gebiet Medenau, dann Rudau, Quednau, Waldau, Kaymen und Tapiau.

Jeschke macht gegen diese Überlieferung den Einwand: wenn Romowe in Galindien gelegen hätte, wäre der König gezwungen gewesen, von Balga durch das unberührte Ermland, vor allem durch das Gebiet von Heilsberg, Seeburg u.a., ziehen zu müssen, wovon aber keinerlei Erwähnung getan wird. Wahrscheinlicher ist, daß Ottokar von Balga direkt gegen die Samländer zog, nach deren Überwindung er die Burg Königsberg gründete und nach Böhmen zurückkehrte.

Auch auf dem Anmarsch nach Balga von Elbing aus hätte er nicht in die südlichen Bezirke gelangen können, ohne das Ermland zu durchqueren. Ein Dorf "Rom" soll es, wie Jeschke mitteilt, "noch heute" in Natangen geben.

Simon Grunau nun verlegt den Standort der Eiche Romowe nach Natangen. Der Baum soll dort gestanden haben, wo noch "heute" Reste eines Klosters "Dreyfaltigkeit" seien. Henneberg sagt: Diese teuflische Eiche hat gestanden zu Rikojoth, das verstehe ich mitten auf Natangen, da itzund die heilige Dreyfaltigkeit, so man das Kloster nennet, steht, das die Dreiheit der Preußengötter ablöste. Der Name Rom erinnere an Romsdorff, während Rückgarben eine Nachbildung von Rikojoth ist. Wenn diese Annahme zutrifft, führt Jeschke aus, konnte Ottokar niemals in einem Zuge von Balga das Dorf Romowe erreichen, wofür er die aus der geographischen Tafel Preußens sich ergebenden räumlichen Entfernungen verwertet. Er hält also die Mitwirkung des Böhmenkönigs an der Beseitigung der Eiche in jedem Fall unwahrscheinlich.

Die Anhänger des Standorts in Galindien berichten, daß die Polen, um den Tod des hl. Adalbert im Jahre 997 bei Tenkitten zu rächen, den bei Romowe befindlichen heiligen Eichenhain zerstört hätten.

In meiner Schulzeit ist uns etwas Sicheres über den Ort Romowe nicht mitgeteilt worden, doch erinnere ich mich, daß das Samland oder Natangen als der Gau betrachtet werden könne, in dem der heilige Hain seinen Platz gehabt hat. An ein Dorf Rückgarben kann ich mich freilich nur dem Namen nach erinnern; auch, daß es in Natangen gelegen war.

Alles in allem läßt sich das Dunkel über den wirklichen Standort der heiligen Eiche nicht aufhellen. Über das kultische Wesen im heiligen Bezirk erfahren wir von Jeschke nach alten Quellen:

Ein preußischer König Prutenius gab im höheren Alter die Königswürde an seinen Bruder Weidewutus ab, behielt sich selbst nur den Rang des Oberpriesters - Kyrwaite, auch Kiriekiriejito genannt - vor. Er wohnte unter der Eiche Romowe, die sechs Ellen dick war, überzwerch gemessen, oben sehr breit und so dicht, daß weder Regen noch Schnee hindurch konnten. Der Baum behielt sein Laub auch im Winter und blieb grün das ganze Jahr (ob es vielleicht eine Eibe war, die früher in Ostpreußen sehr verbreitet und in Riesenexemplaren vorhanden gewesen sein soll?). Um den Baum war, acht Ellen in der Breite und Höhe, ein Vorhang angebracht, den niemand außer dem Oberpriester und seinen vornehmsten Gehilfen lüften durfte. Dies geschah, wenn jmand den Göttern Weihegaben bringen und sie sehen wollte. Dann wurden die Teile des Vorhangs auseinandergezogen. Die Eiche hatte drei "Zwalgen" (Hauptäste). An einen war das Bild des Gottes Pikollos angebracht, der sich als Gestalt mit langem grauen Bart und einem Antlitz von tödlich bleicher Farbe präsentierte. Sein Haupt war mit einem weißen Tuche gekrönt. Ihm wurden Köpfe von Menschen und Tieren geopfert. Zu hohen Festen brannte man ihm Kalkpulver in Töpfen. Er spukte beonders in den Häusern der Reichen. Wenn jemand gestorben war und die Hinterbliebenen den Göttern nicht viel opferten, "plagete er sie des Nachts; so er zum dritten Mal kam, mußte man ihm Menschenblut opfern". Das geschah - wohl gegen entsprechende Ablösung -, indem sich der Weidelotte, Priester, in den Arm schnitt, bis es blutete. Dann hörte man es in der Eiche brummen, als Zeichen der Versöhnung.

Den zweiten "Zweel" hatte Perkunos inne. Er war ein zorniger Mann, rot wie Feuer, mit Feuerflammen gekrönt. Sein Bart war kraus und schwarz. Sein wilder Blick war auf den dritten der Götter neben ihm gerichtet. Für ihn mußte ein ständiges Feuer aus trockenem Eichenholz unterhalten werden, womit man die Opfer verbrannte. Wenn das Feuer ausging, kostete dieses Versäumnis dem diensthabenden Weidelotten den Hals.

Der dritte der Gruppe war Potrimpos; er sah aus wie ein junger Mann, ohne Bart, mit "Sangeln"(?) gekrönt, fröhlich lachend, was ihm den Zorn seines Nachbarn, Perkunos, eintrug. Sein Kleinod war eine Schlange in einem großen Topf, die von den Weidelotten mit Milch ernährt und unter einer Decke von Getreidegarben gehalten wurde. Man brannte dem Gott Wachs und Weihrauch, doch wurden ihm zu Ehren auch Menschenopfer gebracht, und zwar Kinder getötet.

Die blutigen Weihegaben scheinen nicht selten gewesen zu sein, denn es wird berichtet, daß die Eiche ganz mit dem Blut der geopferten Menschen und Tiere "so besprenget und begossen war, daß es abscheulich und schrecklich zu sehen war". Dazu kam noch die Mitwirkung "teuflischer" Gespenster, die öfters um denselben Ort "grausam Ungewitter, Donner und Blitz erregten und sich selbst in mancherlei Art, als Menschen und Waldmänner, als Schlangen und Drachen, als Feuer und in anderen unförmlichen und schrecklichen Gestalten sehen ließen".

Soweit Jescheke,-

Trotz des Lächelns des Potrimpos sind die alten Pruzzengötter offenbar nicht in der Heiterkeit sehnsüchtiger Frömmigkeit verehrt worden (zumindest den Berichten der christlichen Missionare nach). Der Himmel Griechenlands wölbte sich nicht über dem Lande, von wo die sidonischen Männer den Bernstein holten. Und doch - welch herrliches war unsere Heimat!

 Zurück zur Übersicht der mythologischen Themen